Eveline Schaller, Sozialpädagogin
Ralf Margreiter ist Leiter Stipendienberatung und Projektleiter Stipendienstrategie des Laufbahnzentrums der Stadt Zürich. Der Bildungsexperte wirkte während über 13 Jahren für die Grünen im Zürcher Kantonsrat, u.a. als Präsident der Bildungskommission, aber auch in der Steuer- und Finanzpolitik. Bevor wir mit ihm in die Welt der Fördergelder eintauchen, führt er uns einen wichtigen Punkt vor Augen. Neben der zu lösenden Finanzierungsfrage sei auch die Laufbahnberatung für Erwachsene jeden Alters eine gute Möglichkeit, um die eigene Karriereplanung bestmöglich zu beurteilen.
Gelingensbedingungen fürs lebenslange Lernen
«Wenn es ums lebenslange Lernen geht, ist die Finanzierung das eine – das andere ist die Vereinbarkeit mit den persönlichen Lebensumständen. Diese Knacknuss haben meist Personen zu lösen, die biografisch weiter fortgeschritten sind, Familie mit Kindern oder andere Verpflichtungen haben», fasst Ralf Margreiter zusammen. «Es sind Leute, die etabliert im Beruf stehen und sich überlegen ‹Wie weiter?›». Eine weitere wichtige Erkenntnis: «Nicht alle haben gute Erfahrungen mit dem organisierten, strukturierten Lernen während der Schulzeit gemacht. In der Stipendienberatung haben wir viel Kontakt zu Menschen, die von der Berufs- und Laufbahnberatung, dem RAV oder den Sozialdiensten für die Finanzierung einer Ausbildung geschickt werden. Stipendien sind eine wichtige Starthilfe. Der Ausbildungserfolg hängt aber von weiteren Gelingensbedingungen ab. Und die sind immer individuell: Was ist an Vorwissen und Vorerfahrungen da? Wie ist die Einstellung zu Bildung usw.?» Für den Stipendienexperten ist klar: «Wir wollen, dass Bildung gelingt. Unmittelbar können wir dort etwas beitragen, wo es mit Geld möglich ist. Aber es gibt eben auch andere Hürden.» Seinen Einschätzungen zufolge sei erfolgreiche (Weiter-)Bildung nicht nur eine Frage des Geldes. Zeit, Einsatz- und Lernbereitschaft seien ebenso wichtige Faktoren, die dem persönlichen Karriereweg gewidmet werden sollten.
Eidgenössisch anerkannt oder nicht?
Dass Bildung ein wertvolles Gut ist, wird spätestens nach der Sekundarstufe II klar. Dann muss die Finanzierung privat geregelt werden. Sind für den Bildungswunsch zu wenig eigene Mittel vorhanden, bedeutet das jedoch nicht das Aus. Bund und Kantone sowie einzelne Gemeinden wie die Stadt Zürich setzen sich mit Finanzierungsmassnahmen dafür ein, dass Bildung für alle zugänglich ist. Ein wichtiges Beispiel sind die Bundessubventionen für Teilnehmende von Vorbereitungskursen auf eidgenössische Berufsprüfungen bzw. Höhere Fachprüfungen. Nach absolvierter Prüfung werden bis zu 50 Prozent der Kosten zurückerstattet, und das unabhängig vom Prüfungsresultat.
Ralf Margreiter präzisiert: «Bei der Bildungsfinanzierung ist zwischen zwei verschiedenen Welten zu unterscheiden: den staatlich geregelten oder anerkannten Ausbildungen bzw. Abschlüssen und den Weiterbildungen, hinter denen gerade keine staatliche Anerkennung steht. Stipendien- bzw. Ausbildungsbeiträge können im Kanton Zürich für Ausbildungen, nicht aber für Weiterbildungen gesprochen werden. Viele Branchenkurse oder die Hochschulweiterbildung fallen da nicht darunter. Dafür berechtigen die genannten eidgenössischen Prüfungen zu Beiträgen – auch wenn die Vorbereitungskurse umgangssprachlich ‹Weiterbildungen› genannt werden.»
Die Möglichkeiten, sich während der Dauer des Studiums oder der Weiterbildung finanziell abzusichern, sind vielfältig. Bei jeder dieser Finanzierungsformen gibt es einiges zu beachten, namentlich auch die damit verbundenen Vor- und Nachteile. Abhilfe schaffen können Stipendien, Fördergelder, Darlehen oder private Beiträge, z.B. von Eltern, vereinzelt aber auch von privaten Stiftungen oder Fonds. Welche Arten der Unterstützung möglich sind, kann über die Stipendienberatung erschlossen werden. Ralf Margreiter schränkt jedoch ein: «Was meines Wissens sämtliche Kantone strikt ablehnen, sind Stipendien für Praktika. Mit dem Berufsbildungsgesetz 2003 wurde die Berufsbildung so systematisiert, dass es grundsätzlich möglich ist, in jede Grundbildung ohne vorheriges Praktikum einsteigen zu können.»
Bildung soll nicht zur Verschuldung führen
Bei den Voraussetzungen für Stipendien gibt Ralf Margreiter zu: «Es ist komplex. Jeder Kanton hat eigene Gesetze und Verordnungen zur Vergabe. Es gibt verschiedene Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Im Kanton Zürich spielt neuerdings z.B. das Alter eine grosse Rolle: Bis zum Alter von 24 Jahren werden existenzsichernde Stipendien ausbezahlt. Von 25 bis 34 gibt es entweder reduzierte Stipendien oder existenzsichernde Darlehen. Von 35 bis 44 sind nur noch Darlehen erhältlich, um das soziale Existenzminimum zu sichern.» Laut Ralf Margreiter würden allerdings viele auf ein Darlehen verzichten, fänden eine andere Finanzierungsmöglichkeit oder verzichten ganz auf die Ausbildung. «Ein Verzicht ist aber aus bildungs-, sozial- und wirtschaftspolitischer Sicht unerwünscht.» Zur Ausbildungsfinanzierung über Kredite sagt er: «Dass man mit 100'000 US-Dollar Schulden aus einer Ausbildung kommt, die man erst mal abarbeiten muss, ist eine typisch angelsächsische Kultur. Das kennen wir in der Schweiz nicht. Hier scheuen viele das Risiko einer hohen Verschuldung.»
Für Ralf Margreiter gehört vor allem in der höheren Berufsbildung auch die Finanzierung durch die Arbeitgeber/ innen dazu: «Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass diese sich an den Kosten beteiligen oder sie im Einzelfall sogar ganz übernehmen. Als Sicherheit können diese dafür Weiterbeschäftigungsvereinbarungen mit ihren Arbeitnehmenden abschliessen. So bleibt das neue Wissen direkt im Betrieb verankert und bringt Arbeitgebern/innen einen unmittelbaren Nutzen.»
Blick in die Zukunft
Mit den Stipendien leistet der Kanton Zürich eine verschuldungsfreie Grundfinanzierung lediglich bis zum 25. Lebensjahr. Dass sich Personen wegen ihrer Ausbildung verschulden, verhindert die Stadt Zürich, indem sie kantonale Darlehen durch städtische Stipendien ersetzt und mit zusätzlichen Beiträgen ergänzt. Seit 1. August 2022 erhalten hier auch Personen ab 45 Jahren Ausbildungsbeiträge. Beim Kanton wäre hier Schluss. Die Stadt Zürich plant ausserdem, ab 1. Januar 2023 auch Weiterbildungen zu unterstützen, die für den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit zweckmässig sind.
Die neuen «Arbeitsmarktstipendien» sollen vor allem jenen Erwerbstätigen zugutekommen, die durch die Entwicklungen am Arbeitsmarkt am stärksten gefährdet sind. «Eine präventive Massnahme», sagt Ralf Margreiter und ergänzt: «Wir haben gesehen, wie weitreichend der Einfluss durch die Globalisierung, Offshoring, Automatisierung oder den technischen Wandel auf ganze Branchen sein kann oder was eine Pandemie auslöst. Es entstehen neue Tätigkeiten oder es werden andere Kompetenzen gefragt. In den sozialen Berufen geht es um ‹Peoplebusiness› und Beziehungsarbeit. Für mich gehören sie darum zu einer Branche mit vergleichsweise hoher Jobsicherheit.» Er nennt die Beispiele von Chatbots, die inzwischen online Kundenanfragen beantworten, oder Pflegeroboter in japanischen Altersheimen. «Japan mit seiner hohen Überalterung in der Gesellschaft hat dies für sich als Antwort auf einen Fachkräftemangel gefunden, um einem Pflegenotstand entgegenzuwirken», skizziert Ralf Margreiter mit einem Blick über den Kontinent hinaus. Mit unvorhergesehenen Veränderungen müsse man heute lernen umzugehen. Besonders Arbeitskräfte in stark betroffenen Branchen und allgemein Personen mit niedriger oder mittlerer Qualifikation sollen dank Bildung ihre Arbeitsmarktfähigkeit erhalten und sich beruflich weiterentwickeln können. Die neuen Arbeitsmarktstipendien für Einwohner/innen der Stadt Zürich wären dabei eine wirksame Hilfe.
Informationen zur Finanzierung von Aus- und Weiterbildungen
Informationen zu Finanzierungsmöglichkeiten auf Berufsberatung.ch:
www.berufsberatung.ch
Stipendienberatung des Kantons Zürich:
www.zh.ch
Stipendienberatung der Stadt Zürich:
www.stadt-zuerich.ch