Esther Föllmi, Assistentin Gesundheit und Soziales
Was ihr damals fehlte…
Im Durchgangszentrum für Flüchtlinge angekommen, konnte Meheret von Felten kein Wort Deutsch, niemand war da, der ihre Möglichkeiten aufzeigte und ihre vielen Fragen beantworten konnte. Sie sprach zwei von über 50 in Eritrea und Äthiopien beheimaten Sprachen sowie Englisch und begann intensiv die deutsche Sprache zu lernen. Mit der Erkenntnis, es als inzwischen alleinerziehende Mutter und selbständige Künstlerin nicht weit bringen zu können, begann sie ein Praktikum in einer Kinderkrippe. Gleichzeitig absolvierte sie eine Ausbildung zur Dolmetscherin und Übersetzerin für ihre Muttersprachen Tirginya und Amharisch ins Deutsche bei Medios, ein Angebot der Asylorganisation Zürich (AOZ), die als Fachorganisation der Stadt Zürich Dienstleistungen im Migrations- und Integrationsbereich anbietet. Noch heute arbeitet sie stundenweise als Übersetzerin und Kulturvermittlerin für die Organisation. Meheret von Felten absolvierte zwei Praktika und in beiden erhielt sie den versprochenen Ausbildungsplatz zur Fachfrau Betreuung, Fachrichtung Kinderbetreuung, nicht. «Der erneute Zeitverlust machte mich wütend und entfernte mich vom Ziel, nicht mehr vom Sozialamt abhängig sein zu müssen.» Für sich und ihre kleine Tochter mussten 1400 Franken pro Monat für Kleider, Essen und Freizeit reichen.
…gibt sie heute unermüdlich anderen
Schliesslich konnte sie 2011 mit 33 Jahren die verkürzte zweijährige Lehre in einer Kita beginnen. Es folgten zahlreiche Kurse, beispielsweise für den Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern oder für das Leiten und Gestalten von Workshops für Menschen mit Migrationshintergrund. «Ich habe inzwischen bestimmt 18 oder 19 Zertifikate», erzählt Meheret von Felten lachend. Parallel zu ihrer Arbeit in einem Hort begann sie für die Organisation «National Coalition Building Institute (NCBI) Schweiz, eine Art «Brückenbauer-Institut» zu arbeiten. In dessen Auftrag besucht sie etwa acht Stunden wöchentlich Flüchtlinge in Durchgangszentren, begleitet sie bei Behördenbesuchen, unterstützt bei Gesprächen auf Fachstellen und bei Behörden, hilft Formulare auszufüllen und spricht mit jungen Flüchtlingen, die zu viel Alkohol trinken. «Den Rucksack, den diese Menschen mit sich herumtragen, ist erstaunlich», findet sie. Belastende Situationen gebe es auch und oft werde sie gefragt, wie sie trotz ihrem eigenen Leidensweg so viel Mut weitergeben kann. Meheret von Felten hat in der Schweiz vier Jahre Psychotherapie hinter sich. Die Psychologin attestierte ihr, dass man
an einer solchen Lebensgeschichte zerbricht oder stärker wird. «Ich gehöre zur zweiten Sorte. Mein Lebensmotto lautet ‹Um Gold zu formen, muss man es im Feuer schmelzen lassen›»
Spezialisiert auf Migrationsthemen
Letztes Jahr hat Meheret von Felten den Lehrgang Migrationsfachperson an der Schule für Sozialbegleitung absolviert – zur Vorbereitung auf die Berufsprüfung zum eidgenössischen Fachausweis. Einiges war für sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung und FaBe-Ausbildung eine Vertiefung, anderes eine Wiederholung. Enorm profitiert hat sie von den vermittelten Kompetenzen fürs Berichte verfassen oder den Rechtsgrundlagen. Migrationsfachpersonen müssen den Durchblick haben im schweizerischen Migrationsgesetz und die Verfahrenswege kennen. Seit 1. März 2019 gilt das neue beschleunigte Asylverfahren und Meheret von Felten muss sich tief in die Materie
einlesen, um die Fragen ihrer Landsleute beantworten zu können. Auch welche Fachstellen in welcher Situation und wie unterstützen können, muss eine Migrationsfachperson wissen: «Zum Glück gibt es heute viel mehr Angebote als bei meiner Ankunft.» Im Lehrgang wurden zahlreiche Praxisbeispiele besprochen, beispielsweise wie ein Familiennachzug funktioniert. Eine Migrationsfachperson weiss somit auch, wie sich länderspezifische Rahmenbedingungen auf Menschen auswirken und kann gezielt die Perspektiven der Betroffenen einnehmen und sie beim Integrationsprozess begleiten.
Ein Buch, das erklären soll
Aktuell bereitet Meheret von Felten sich auf die eidg. Berufsprüfung zur Migrationsfachperson vor, die aufgrund der Corona-Pandemie im August statt im Frühling stattfindet.
Ihren Job im Hort hat sie Anfang 2020 gekündigt, um genug Zeit für die Prüfungsvorbereitung, ihre Familie – zwei Töchter und ein Mann – und ihr Buchprojekt zu haben. Halb Biografie, halb Fiktion hat Meheret von Felten in ihrer Muttersprache über das Leiden der eritreischen Flüchtlinge geschrieben. Besonders den Schweizerinnen und Schweizern möchte sie erklären, wie das Leben in Eritrea ist und wieso die Menschen flüchten. Für die Veröffentlichung arbeitet sie mit einer Schweizerin mit deutscher Muttersprache zusammen. Auch eine nächste Weiterbildung – ein Studium in Sozialpädagogik – hat Meheret von Felten im Blick. Auf jeden Fall möchte sie in einem Durchganszentrum oder in einer Fachstelle arbeiten, die Frauen mit Migrationshintergrund unterstützt: «Es braucht mich dort.»